Wie ich nach meiner Fehlgeburt wieder glücklich wurde

Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um eine Fehlgeburt und um deren Aufarbeitung. Falls du denkst, dass dir dieses Thema nicht gut tut, solltest du den Artikel nicht (oder nicht alleine) lesen.

 

Von Gastautorin Natascha Sagorski

„Ich kann leider keinen Herzschlag mehr finden.“ BAMM! Ein Satz, sieben Wörter, 39 Buchstaben, die dich innerhalb einer Sekunde von einer vorfreudig aufgeregten Schwangeren in einen sprachlosen Zombie verwandeln. Denn so fühlte ich mich erstmal. Ich funktionierte noch halbwegs, fuhr mit leerem Blick wie fremdgesteuert nach Hause und später mit meinem Mann ins Krankenhaus, wo am nächsten Tag die Ausschabung stattfand.

Fehlgeburt. Hatte ich das gleichnamige Kapitel in meinem Schwangerschaftsratgeber bisher immer schnell überblättert, so holte mich dieses schreckliche Wort nun unbarmherzig ein. Und machte mich im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. Reden ist Teil meines Berufs, Teil meines Ichs. Normalerweise habe ich kein Problem damit vor hunderten von Menschen zu sprechen. Doch an diesem Tag, in der Klinik und mit meinem toten Baby im Bauch, blickte ich die Frau hinter der Empfangstheke an und schaffte es nicht ihr zu sagen, auf welche Station ich musste. Es kam einfach kein Wort aus meinem Mund und auch in den nächsten Tagen blieb ich meistens still. Ich redete wenn überhaupt nur mit meinem Mann und war das erste Mal seit Ewigkeiten nicht mehr erreichbar.

Als mein Baby uns in der zehnten Schwangerschaftswoche verließ war Sommer. Ich legte mich in den Garten, versuchte so viel zu lesen wie möglich und in französischen Krimis abzutauchen, suchte hektisch nach dem nächsten, wenn ich einen zu Ende gelesen hatte, um ja nicht bewusst in der Realität zu landen und anzufangen nachzudenken. Ich glaube meine Seele brauchte diesen Puffer, um mit der Heilung zu beginnen. Nach einigen Tagen fing ich an, im Internet nach Erfahrungsberichten von anderen Frauen zu suchen. Ich fing an mich nach Hoffnung zu sehnen. Ich kannte es nicht, eine solche Leere in mir zu spüren und hatte Angst, dass sie nicht wieder verschwinden würde. Deswegen googelte ich nach Berichten von Frauen, die mir sympathisch waren, Frauen, mit denen ich mich identifizieren konnte und die es geschafft hatten, nach ihrer Fehlgeburt der Leere zu entkommen. Die sogar wieder lachen konnten. Das wollte ich auch.

Parallel begann ich lange Gespräche mit meinem Mann zu führen. Wir gingen stundenlang mit unserem Hund an der Isar spazieren und redeten. Auch mein Mann hatte unser Baby verloren. Wir beide hatten einen schlimmen Verlust erlitten. Zusammen waren wir schon mal weniger alleine. Und nach und nach schaffte ich es auch, mit anderen zu sprechen. Ich telefonierte mit meiner Mutter und meiner besten Freundin. Nach zweieinhalb Wochen fühlte ich mich wieder stark genug, um arbeiten zu gehen. Die Sprache hatte mich wieder und ich schaffte es sogar, meinem Team zu erzählen, warum ich plötzlich und ohne Vorankündigung weg gewesen war. Am nächsten Tag stand eine weiße Lilie auf meinem Schreibtisch. Eine kleine Geste, die doch so viel sagte.

Je mehr Zeit verstrich, desto besser konnte ich über das Erlebte sprechen. Ich erzählte ganz offen im Kosmetikstudio, warum ich meinen letzten Termin nicht wahrnehmen konnte, sprach mit Freundinnen und Bekannten darüber und öffnete mich auch meinem weiteren Arbeitsumfeld. Zumindest immer dann, wenn es sich gut anfühlte. Und was war erschreckend oft die Antwort? „Ich/meine Schwester/Freundin/Mutter hatten auch eine Fehlgeburt“. Irgendwie war jede bereits direkt oder indirekt mit dem Thema in Berührung gekommen, aber Keine hatte darüber gesprochen. Mir kam es so vor, als ob Fehlgeburten eines der am besten gehüteten Geheimnisse unserer Gesellschaft seien. Ich recherchierte weiter und fand heraus, dass jede dritte Frau eine Fehlgeburt erlebt, wobei mir viele Ärzte sagten, dass die Dunkelziffer bei frühen, unbemerkten Fehlgeburten noch höher liegen dürfte. Das machte mich ganz schön baff. Und ärgerte mich. Es ärgerte mich, dass ich mich nach dem Verlust meines Babys so alleine gefühlt hatte. Dass ich keine Ahnung hatte, wie viele Frauen betroffen sind. Dass ich keine Ahnung hatte, dass ich Anspruch auf eine Hebammenbetreuung gehabt hätte. Und dass die meisten anderen Frauen genauso wenig Ahnung haben. Das sollte so nicht sein.

So entstand die Idee ein Buch zu machen. Ein Buch, in dem Frauen mit Schwangerschaften ohne Happy End ihre Geschichten erzählen, ganz offen und ehrlich. So ungeschminkt, dass andere Betroffene sich in ihnen wiederfinden und neuen Mut fassen können. Und auf meinen Aufruf hin, meldeten sich so viele Frauen, die ihre Geschichte erzählen wollten, dass ich gar nicht alle mit ins Buch aufnehmen konnte. Denn so viele wollten ihre Geschichte teilen, hatten aber oft das Gefühl, dass niemand sie hören wollte. Das ist leider oft so. Viele Frauen haben Angst, dass sie andere Menschen mit ihrer Geschichte „belästigen“ würden, denn in unserer Gesellschaft redet man nicht gerne über den Tod. Aber Reden ist gerade nach Fehlgeburten so wichtig und der Austausch mit anderen die beste Heilung. Als ich „Jede 3. Frau“ schrieb, war ich gerade in der Elternzeit mit meinem Sohn. Hatte also mein Regenbogenbaby bekommen und wurde während der Arbeit am Buch wieder schwanger. Doch auch wenn ich heute zwei gesunde Kinder habe, die ich über alles liebe, so denke ich oft an das eine Baby, das ich leider nie im Arm halten durfte. Und das ist in Ordnung so.

Es hätte damals am 14. Februar, also am Valentinstag, auf die Welt kommen sollen. Wir stellen nun jedes Jahr an diesem Tag Kerzen in den Garten und schicken der kleinen Seele das Zeichen in den Himmel, dass wir sie nicht vergessen und an sie denken. Wenn unsere Kinder alt genug sind um es zu verstehen, werden wir ihnen erzählen, dass da oben im Himmel noch ein Geschwisterchen von ihnen von Wolke zu Wolke hüpft. Denn uns ist es wichtig, dass wir kein Geheimnis daraus machen, dass Mama einmal ein Baby verloren hat. Vielleicht wird es ja, wenn unsere Kinder erwachsen sind, ganz normal sein, offen über Fehlgeburten zu sprechen. Ich hoffe es sehr und ich werde mich auch weiter dafür einsetzen. Denn ich wünsche mir, dass jede betroffene Frau nach einer Fehlgeburt vor allem eines weiß, sie ist nicht alleine.

Eines ist mir noch wichtig. Die Zeit, die ich nach meiner Fehlgeburt zum Heilen brauchte, die wollten mir die Ärzte in der Klinik nicht geben. „Sie können morgen wieder arbeiten gehen“, sagte eine von ihnen zu mir, als ich noch blutend im Bett lag. Mein Mann organisierte mir dann eine Krankschreibung von unserem Hausarzt, dessen Frau dasselbe erlebt hatte. Das erleben viele Betroffene und manche müssen tatsächlich wieder am nächsten Tag ins Büro. Aber keine Mutter, die gerade ihr Baby verloren hat, sollte direkt wieder funktionieren müssen. Deswegen setze ich mich mit einer Petition an den Deutschen Bundestag für Gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten, bereits vor der 24. Woche, ein. Informationen und die Möglichkeit zum Unterschreiben gibt es hier. openpetition.de/!mutterschutz

Danke für jede Unterschrift!

 

Du, deine Freundin, deine Cousine, deine Kollegin bist/ist betroffen und du hast Interesse an dem Buch „Jede 3. Frau“ von Natascha? Hier kannst du es gewinnen! So kannst du am Gewinnspiel teilnehmen: Schicke eine Mail an hallo@isawhoelse.de mit dem Betreff: “Jede 3. Frau”. Teilnahmeschluss: 30.07.2022, 24 Uhr. Einzelheiten zu den Teilnahmebedingungen findest du in unseren AGB’s Members Club Abo unter  “20. Teilnahmebedingungen für Gewinnspiele / Verlosungen”.

Auch in unserem Forum soll Raum sein, offen über Fehlgeburten zu sprechen. Hier könnt ihr mitreden oder mitlesen.

Über Natascha

Natascha Sagorski studierte Politik- und Kommunikationswissenschaft und arbeitete im Anschluss als Kolumnistin und Moderatorin für verschiedene Magazine sowie die ProSieben-Sendung taff. Sie veröffentlichte mehrere erzählende Sachbücher sowie zwei Romane. Durch ihre eigene Fehlgeburt kam sie auf die Idee, Geschichten von Menschen zu sammeln, die Ähnliches erlebt haben. Als PR-Beraterin im Tourismus bereist sie heute die ganze Welt und lebt mit ihrem Mann und zwei gemeinsamen Kindern in München.

Photocredits: Stephen Leonardi via Unsplash