Geburtstrauma statt Traumgeburt: Ein ehrlicher Bericht

Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um eine traumatische Geburtserfahrung aufgrund einer seltenen Komplikation und um deren Aufarbeitung. Falls du denkst, dass dir dieses Thema nicht gut tut, solltest du den Artikel nicht (oder nicht alleine) lesen.

 

Von Gastautorin Lena

Die Worte Traumgeburt und Geburtstrauma sind sich so ähnlich, dass es fast schon absurd ist, wie gegensätzlich sie eigentlich sind. Vor sechs Monaten war ich so nah an meiner Traumgeburt. Alles war noch viel schöner, intimer, selbstbestimmter als bei der Geburt meines ersten Kindes. Ich war im warmen Wasser, in einer relativ entspannten Trance, bei jeder Wehe tief atmend, und voller Vorfreude auf diesen Moment, in dem ich mein zweites Baby mit meinen Händen im Wasser empfangen würde. Doch dann kam alles anders.

“Kurz vor der Geburt meines Sohnes hatte sich bei bereits vollständig geöffnetem Muttermund die Plazenta vorzeitig gelöst – eine seltene Komplikation, welche zu einer plötzlichen Unterversorgung des Kindes und starken inneren Blutungen der Mutter führt.”

Bis heute suche ich nach Antworten. Nicht auf die Frage der medizinischen Ursache, denn diese ist geklärt. Kurz vor der Geburt meines Sohnes hatte sich bei bereits vollständig geöffnetem Muttermund die Plazenta vorzeitig gelöst – eine seltene Komplikation, welche zu einer plötzlichen Unterversorgung des Kindes und starken inneren Blutungen der Mutter führt. Es gibt nur wenige Gründe, eine sogenannte Blitz-Sectio durchzuführen – also einen Notkaiserschnitt, bei dem das Kind unter Vollnarkose innerhalb von 10 Minuten auf die Welt gebracht werden muss. Die vorzeitige (komplette) Plazentalösung kann ein Grund für diese drastische Maßnahme sein. Und sie gilt laut meiner Beleghebamme als eine der am meisten gefürchteten Komplikationen in der Geburtshilfe, da Mutter und Kind imminent in Gefahr sind. Eine Blitz-Sectio ist in Fällen wie meinem zwar die einzige Lösung, birgt aber auch größere Risiken als die meisten Kaiserschnitte. Unter anderem findet sie unter weniger sterilen Umständen statt – vermutlich der Grund, weshalb ich in den 8 Wochen nach der Geburt zwei Mal eine Gebärmutterentzündung erlitt und größtenteils Bettruhe, kombiniert mit wiederholten Antibiotikabehandlungen und ärztlichen Überwachungen, einhalten musste.

“Warum durfte ich den Moment der Geburt meines Kindes nicht sehen, hören oder spüren?”

Meine Fragen drehen sich viel mehr um das allgemeine «Warum». Warum musste ich diese Ausnahme in der Statistik sein? Warum durfte ich den Moment der Geburt meines Kindes nicht sehen, hören oder spüren? Warum sind die ersten beiden Tage nach der Geburt aus meiner Erinnerung gelöscht, und warum beschäftigt und beeinflusst mich diese Erfahrung bis heute jeden Tag, jede Stunde, manchmal ununterbrochen?

“Ich verspüre große Dankbarkeit, dass es meinem Sohn gut geht, und dass ich dieses Erlebnis auch den Umständen entsprechend gut überstanden habe.”

Die Geburt und die Zeit danach sind die einschneidensten Erfahrungen meines Lebens. Ich verspüre große Dankbarkeit, dass es meinem Sohn gut geht, und dass ich dieses Erlebnis auch den Umständen entsprechend gut überstanden habe. Ich leide zwar auch heute noch unter psychischen und körperlichen Beschwerden, aber ich habe das Privileg und vor allem auch die Kraft, mir Hilfe und Rat bei Ärzt:innen, Psycho-/Traumatherapeut:innen und Physiotherapeut:innen zu holen. Es hätte alles anders kommen können.

“Aber mir ging es eben nicht gut. Mir geht es bis heute nicht «gut».”

Und dennoch: Der Prozess zur Verarbeitung und Heilung ist lang, und wird immer wieder zurückgeworfen durch bestimmte Trigger, die mich retraumatisieren. Zuerst war dies vor allem die lieb gemeinte Reaktion von Familie und Freunden. Fast jede Nachricht, die ich in den Tagen nach der Geburt erhielt, enthielt die Frage: «Und, ist alles gut gegangen?» Wenn ich überhaupt die Kraft dazu hatte, zu antworten, folgte meist die Antwort: «Hauptsache, dir und deinem Kind geht es gut.» Aber mir ging es eben nicht gut. Mir geht es bis heute nicht «gut».

“Seit einigen Wochen arbeite ich die Erlebnisse in einer spezialisierten Körpertherapie auf.”

Am schlimmsten für mich sind die Erinnerungslücken kombiniert mit den immer wiederkehrenden Flashbacks – Bilder der Geburt, die ungefragt und oft pausenlos über mehrere Stunden am Stück hochkommen. Seit einigen Wochen arbeite ich die Erlebnisse in einer spezialisierten Körpertherapie auf. Das kostet unfassbar viel Kraft, aber die positiven Effekte spüre ich schon jetzt. Unter anderem kommen die Erinnerungen an die schönen, kraftvollen Momente der Geburt wieder hoch.

“Ich habe für das Leben meines Kindes gekämpft, obwohl mein Eigenes in Gefahr war.”

Natürlich wünschte ich mir eine andere Geburtserfahrung. Ich gebe zu: Ich bin neidisch auf Gebärende, die ihre Traumgeburt im Wasser hatten, so wie ich sie mir gewünscht hatte (auch wenn ich dies jeder Gebärenden gönne!). Doch meine Geburtserfahrung hat mich auch erkennen lassen, wie stark ich bin. Ich habe für das Leben meines Kindes gekämpft, obwohl mein Eigenes in Gefahr war. Und so spreche ich heute offen über mein Trauma und den Prozess der Aufarbeitung. Denn Geburtstraumata – ob durch Komplikationen oder Gewalterfahrungen – müssen enttabuisiert und ernst genommen werden, damit mehr Gebärende von einem unterstützenden Umfeld und Zugang zu Hilfe profitieren können.

 

Anmerkung der Redaktion:
An wen kannst du dich wenden, wenn du das Gefühl hast, die Geburt nicht verarbeiten zu können oder Angst vor der nächsten Geburt hast?

Erste Ansprechpartnerin kann die Hebamme oder Frauenärztin sein. Sie sind mit der Thematik vertraut und können Fachleute in der Nähe vermitteln, die sich auf (Geburts-) Traumata spezialisiert haben. Auch über das Frauenhilfetelefon des Bundesfamilienministeriums kann man sich Hilfe suchen. Es ist rund um die Uhr kostenlos unter der Nummer 0800/116 016 erreichbar. Eine weitere Anlaufstelle kann der Verein „Schatten & Licht e.V.“ sein. Hier gibt es neben umfangreichen Informationen und Kontakten zu Selbsthilfegruppen, auch eine Liste von Experten in ganz Deutschland.

 


Über Lena:

Lena ist 30 Jahre alt, kommt aus der Schweiz, und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Jungs (3,5 Jahre und 6 Monate) ein arabisch-schweizerisches Multikulti-Leben. Sie arbeitet in der humanitären Hilfe und jongliert damit täglich zwischen Familienalltag und internationalem Beruf.

 

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Photocredits: Frank Alarcon via Unsplash (Das Foto oben zeigt nicht Lenas Baby.)