Von Gastautorin Julia Wild
„Was wird es denn? Ah, ein Mädchen, das ist ja super, das passt zu euch! Mädchen sind viel ruhiger – wobei, sie können auch den ganzen Tag kreischen und wenn sie in die Pubertät kommen, DANN geht der Ärger erst richtig los!“ Familie, Freund:innen, Kolleg:innen, nahezu Fremde traten mit solchen Aussagen in meiner Schwangerschaft an mich heran. Es ist gesellschaftlich akzeptiert, nach dem Geschlecht des Fötus zu fragen, es scheint von enormer Bedeutung. Viele Eltern malen sich die Zukunft mit einem Mädchen oder einem Buben unterschiedlich aus. Sie wollen wissen, ob sie Bodys in Rosa oder Blau kaufen, Flugzeuge oder doch Einhörner an die Kinderzimmerwände kleben sollen. Der ganze (Baby-)Markt ist geschlechtsgespalten. Für Buben – für Mädchen. Was ist für alle dazwischen? Oft nichts.
Ich will ein Mädchen – but why?
Ja, ich wollte es auch wissen und ich habe mir insgeheim ein Mädchen gewünscht. Warum eigentlich? Mir ist vermittelt worden, dass Mädchen die einfacheren, angepassten Kinder sind. Ich schäme mich dafür, aber ich habe eher das brave Mädchen mit Zöpfen und den frechen Lausbub mit schmutzigen Knien im Kopf als die Rotzgöre und den ruhigen Kuschelsohn. Solche Stereotype können nur von einem zutiefst patriarchalen System in meinen Kopf gepflanzt worden sein und ich ärgere mich, dass ich diese Vorbelastung nicht abschütteln kann. Ich predige Wasser und saufe den Wein. Aber ich will und wollte mich und mein verkorkstes Denken ändern. Meine Tochter sollte sich in keine Rolle gepresst fühlen und verdammt nochmal werden, wer sie wollte.
Frau sein ist nicht lustig
Gut, ich wusste also, in meinem Bauch wächst ein kleines Mädchen. Ich wusste nun, dass sie meine alten Babyklamotten tragen wird und dass ich ihr eines Tages Frisuren machen werde müssen, was ich überhaupt nicht kann. Und ich dachte darüber nach, dass ich auf der Hut sein müsste. Auf der Hut, sie vor den Albträumen eines Mädchens und einer Frau zu beschützen, die mich bis heute heimsuchen. Mit 12 habe ich begonnen, meinen Körper im Spiegel zu mustern und zu kritisieren. Ich war nie zu dick, aber habe mich immer fett gefühlt. Weniger gegessen, Sport gemacht, abgenommen, zu viel gegessen, zugenommen, mit 16 Diätpillen geschluckt, Männer meinen Körper herabwürdigen lassen, mich unentwegt mit anderen Mädchen und Frauen verglichen, noch mit Anfang 30 vor dem Ausgehen nichts gegessen, damit der Bauch sich nicht wölbt. All das will ich für meine Tochter nicht. Sie soll frei sein, sowohl physisch als auch im Kopf. Sie soll nicht in die Fall tappen, aus der ich nicht mehr rauskomme: Gefallen zu müssen, um jeden Preis.
Wie es so läuft
Meine Tochter ist jetzt 18 Monate alt und hat das Selbstbewusstsein eines dicken, reichen, alten, weißen Mannes. Sie dreht sich vor dem Spiegel, streckt den Bauch heraus und sagt begeistert „oh wow!“. Das rührt mich zu Tränen und ich werde alles dafür tun, damit das so bleibt. Die Frage ist nur, wie das gelingen soll, wenn ich selbst das mieseste Beispiel abgebe? Da hilft es lediglich, an sich selbst zu arbeiten, kein negativen selftalk mehr, Körperneutralität praktizieren und auf Oberflächlichkeit pfeifen. Ich bin mittlerweile besser darin, aber sicher nicht perfekt.
Ich kleide meine Tochter übrigens sehr gerne in sämtlichen Rosatönen. Weil es mir gefällt und ich der Meinung bin, dass es wesentlich wichtiger ist, sie mit anderen Stärken auszustatten, als mit genderneutralen Klamotten. Und zwar mit Mut, Selbstbewusstsein, Größe, Empathie, Autonomie und vor allem ganz viel Liebe.
Über Julia
Julia, 34, ist Medizin- und Gesundheitsredakteurin und Mama einer Tochter. Sie lebt mit ihrer Familie in Niederösterreich und bildet sich in ihrer Elternzeit gerade zur veganen Fitness- und Gesundheitstrainerin aus. Schreiben ist für sie nicht nur Beruf, sondern auch Hobby, weshalb sie ihre Erfahrungen zwischen Windeln wechseln und lernen (und Hausbau!) trotzdem mit viel Freude im Hi, Baby! Club teilt.
Photocredits: Jeremiah Lawrence via Unsplash