Wow, Frau: Anna

Wer bist du? Und was machst du so?
Ich bin Anna, eine krative, oft etwas laute und eine mit sehr viel Energie sprudelnde Persönlichkeit. Die Hälfte meiner Lebenszeit bisher bestand aus Fussball spielen. Es liegt mir wohl irgendwie im Blut, doch mittlerweile widme ich den Großteil meiner Zeit meiner Familie. Ich manage den Therapiealltag mit unserer pflegebedürftigen vierjährigen Tochter mit allem, was dazu gehört. Zwischendrin Nähe ich gerne oder zupfe an meiner Gitarre selbst ausgedachte Melodien. Dabei besteht das Publikum nur aus meiner Tochter.

Wie würdest du dein Leben aktuell beschreiben?
Mein Leben ist irgendwie so gar nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Obwohl ich echt dachte, ich lasse alles auf mich zukommen.
Als wir mit der Zeit festgestellt haben, dass unsere Tochter Schwierigkeiten bei Dingen hat, die Gleichaltrige mit einer Selbstverständlichkeit ausführen, wurden wir unsicher. Anfangs haben wir uns mit Floskeln beruhigt: “Das wird schon” , “Jedes Kind hat sein Tempo” und so weiter. Irgendwann haben sich die Auffälligkeiten überschlagen und es war einfach nicht mehr zu leugnen: Etwas ist anders mit unserem Kind. Ein Weg der unbeantworteten Fragen stand uns bevor und ist noch lange nicht abgeschlossen, denn wir haben noch immer keine Diagnose, was unsere Tochter denn nun genau hat. Untersuchungen und Therapien starteten: Regelmäßige Besuche im SPZ (Sozialpädiatrisches Zentrum für Kinder), Gentest, Entwicklungstests , Ergotherapie, Logopädie, Unterstützende Kommunikation, Reittherapie. Ich mache alles, was möglich ist, um unsere Tochter zu fördern. Bis heute kann sie beispielsweise noch nicht richtig sprechen, weshalb wir die Deutsche Gebärdensprache lernen.

Durch diesen Umstand lernte ich unser Gesundheitswesen von einer ganz neuen Seite kennen und uns wurde deutlich, dass manche Vorgänge nicht existieren oder einfach unkoordiniert ablaufen. Gerade dann, wenn es um eine Behinderung geht, die nicht Offensichtlich und direkt kategorisierbar ist #nichtjedebehinderungistsichtbar. Dann kämpft man erst einmal darum, gesehen und gehört zu werden.

Daher ist unser Leben oft frustrierend, chaotisch und herausfordernd.

Unser Leben ist durch die gegebenen Strukturen nicht so schön, wie es sein könnte. Der Zeitaufwand der Bürokratie und meiner selbstständigen Recherche ist enorm.
Ich nutze beispielsweise jede freie Minute dafür, das Web zu durchforsten, höre stundenlang Podcasts und bin so etwa auf einen Verein gestoßen, der sich “süße Zitrone” nennt. Dort erfuhr ich, dass wir einen Pflegegrad für unsere Tochter beantragen können. Das hatte mir davor leider niemand gesagt.

Ich bin dankbar in einem Sozialstaat zu leben, um vom Pflegegrad und Behindertenausweis gebrauch machen zu können. Und trotzdem muss ich aktuell sagen:
Kein Nachteilsausgleich den es momentan gibt, gleicht unseren Mehraufwand tatsächlich aus. Solange über Inklusion nur geredet wird, bleibt die Umsetztung auf der Strecke. Ich weiß, es ist ein sehr großes Thema, bei dem ich selbst noch viel zu lernen habe. Ich bin jedoch überzeugt: Inklusion ist für alle Menschen von Vorteil. Unsere Tochter ist das Beste was uns passieren konnte, sie lässt uns über uns hinaus wachsen, sie öffnet uns die Augen. Und das wunderbarste sind die neuen Begegnungen, die durch sie in unser Leben treten und uns so viel gutes Tun, dass es uns am Ende einfach nur bereichern kann.

Was macht dich glücklich?
Auf dem SUP-Board mit meinem Mann und meiner Tochter auf dem Sportsee rum paddeln und meiner Tochter dabei zuzusehen, wie sie ihre Hand durchs Wasser gleiten lässt und ich dabei die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut genießen kann.

Was ist dein Lieblings-Moment des Tages?
Wenn ich mich morgens auf mein Rad schwinge, egal bei welchem Wetter, die frische Luft einatme, und meine Tochter dabei zufrieden im Fahrradanhänger sitzt. Das ist nicht selbstverständlich.

Dein Life-Hack für das Leben als Mama?
Aufgeben ist keine Lösung, niemals!

Was waren deine größten Learnings, die du als Mama hattest?
Ein Baby schreit auch, wenn man schon alles, wirklich ALLES ausprobiert hat. Obwohl ich oft um meine Geduld beneidet werde und um meine Ausdauer, auch heute noch eine Trage-Mama zu sein, komme auch ich absolut an meine persönlichen Grenzen. Und wir alle kennen es nur zu gut, wenn dann auch noch Schlafmangel dazu kommt.

Erst jetzt, nach über 4 Jahren, las ich von einem Arzt, der über “Frühkindliche Regulationsstörung” spricht und mir gingen direkt die Lichter auf. Es hat so vieles für mich erklärt. Warum ich mein Baby damals nicht beruhigen konnte, warum alles so extrem anstrengend war.

Also liebe Mamis und Papis da draußen, ihr seid keine schlechten Eltern, wenn ihr eure Babys nicht beruhigt bekommt, obwohl ihr alles dafür tut. Wir hatten so oft die Sorge, es könnten Schmerzen sein, die sie plagen, weil uns Regulationsstörungen bei Säuglingen nicht bekannt war. Sobald man einen Namen für das Verhalten hat, fühlt man sich verstanden, kann es einordnen und bekommt Sicherheit zurück, die man dann wieder dem Baby geben kann. Ein positiver Kreislauf kann entstehen.

Hast du ein Erziehungs-Motto?
Helen Keller hat mal gesagt “Liebe mich dann, wenn ich es am wenigsten verdient habe, denn dann brauche ich es am meisten.” Sie ist eine bemerkenswerte und starke Frau, Schriftstellerin und Aktivistin. Sie konnte weder sehen noch hören.

Dieser Spruch hängt auch in der Logopädie-Praxis meiner Tochter und ich rufe ihn mir immer wieder ins Gedächtnis. An der Umsetzung hapert es aber noch eindeutig.

Was hilft dir, wenn du einen so richtig beschissenen Tag hast?
Eine unaufgeforderte Umarmung meines Mannes.

Wenn du morgen einen freien Tag nur für dich hättest… was würdest du tun?
Ganz ehrlich? Das war die schwierigste aller Fragen. Ich habe keinen blassen Schimmer. Ich hatte schon so lange keinen freien Tag mehr nur für mich. Mein Alltag dreht sich so sehr um unsere Tochter, die so besonders, so anders und pflegeintensiv, aber auch so wundervoll ist. Es wäre sicher sinnvoll, auch mal auszuschlafen, allerdings würde ich eh viel zu früh wach im Bett liegen und abschalten auf Kommando fällt mir generell schwer.  Spontan fällt mir da ein: ein Buch lesen, in die Sauna gehen, eine Runde joggen und lange ausgiebig duschen.

Hast du eine aktuelle Lieblingssache, die du der Crowd empfehlen kannst?

Ich wurde von einer guten Freundin, die früher in der Türkei bei der klassischen Delfin-Therapie assistiert hat, auf “Delphineoos” aufmerksam gemacht. Es sollte unsere Tochter in ihrer Entwicklung unterstützen. Das es auch eine Reise zu mir selbst sein wird, habe ich erst später erkannt.

Bei “Delphineoos” handelt es sich um eine Frequenz Therapie bei dem ein kleines Gerät, der sogenannte “Neoos”, Ultraschallwellen abgibt, so wie es beispielsweise auch die Delfine tun. Das Besondere: Man kann sie dann über die Haut “hören” und aufnehmen. Ich finde das Thema super spannend. Entwicklungsverzögerte Kinder oder auch Kinder mit Behinderung erzielen mit Delphin-Therapie nachweisbare und signifikante Fortschritte in ihrer Entwicklung – sei es auf kognitiver, motorischer oder psychologischer Ebene. Die Gründerinnen von “Delphineoos” wollten nicht mit echten Delphinen therapieren, weil das nicht artgerecht für die Tiere möglich wäre und haben mit Hilfe des “Neoos” eine Therapiewoche entwickelt, die ganz ohne Delphine auskommt und überraschend gute Ergebnisse erzielt. So war es auch bei uns und unserer Tochter.