Von Michelle Wiersbitzky
Neulich wurden wir in einem Baby-Kurs von der Kursleiterin gefragt, inwiefern wir Entlastung im Alltag haben, zum Beispiel durch Großeltern, andere Verwandte oder Freunde. Einige Gesichter sahen fragend aus: Entlastung? Wie? Ich mache meinen Alltag ganz allein mit mir aus. Und am Wochenende unterstützt mich mein Mann ein wenig. Die Eltern kommen mal zu Besuch. Und Freunde und andere Verwandte natürlich auch. Aber Entlastung finde ich dadurch nicht.
“Ich brachte mich ein, indem ich sagte, dass meine Mutter mir schon helfen würde und für mich da wäre, wenn ich sie bräuchte. Das war jedoch noch maßlos untertrieben.”
Eine Mami brach in Tränen aus. Ihre Mutter war gestorben, bevor das Baby zur Welt kam und sie wünschte sie sich so sehr an ihre Seite. Eine andere Mutti sagte lauthals: „Ich bin so froh, dass meine Eltern weit weg wohnen. Sonst wären die doch ständig bei mir. Mir reicht es, wenn die alle paar Wochen mal zu Besuch kommen!“ Ich brachte mich ein, indem ich sagte, dass meine Mutter mir schon helfen würde und für mich da wäre, wenn ich sie bräuchte. Das war jedoch noch maßlos untertrieben.
Aber ich war im ersten Moment perplex. So viele verschiedene Ansichten dazu, wer eine gute Unterstützung im Alltag sein kann und ob man die annehmen möchte. Bei mir läuft es so ganz anders als bei vielen anderen aus der Gruppe. Und ich musste erst einmal in mich gehen und reflektieren, wie das nun bei mir alles so ist.
“In meiner Vorstellung war es so, dass sobald ich mit dem Baby den Raum betreten würde, alle direkt in wirrem Gerede auf das arme Kind einreden, es mir aus dem Arm nehmen und herumreichen würden.”
Doch fangen wir mit meinen Gedanken zu Verwandten, Freunden und vor allem den eigenen Eltern im Mama-Alltag an, die ich in der Schwangerschaft hatte. Dies war ein großes Thema für mich. Ich war sehr besorgt. Die Verwandtschaft meines Mannes ist sehr einvernehmend. Mütterlicherseits sind sie sehr forsch, sehr direkt, sehr laut. In meiner Vorstellung war es so, dass sobald ich mit dem Baby den Raum betreten würde, alle direkt in wirrem Gerede auf das arme Kind einreden, es mir aus dem Arm nehmen und herumreichen würden. Ich machte mir Sorgen, dass ich das als unangenehm empfinden würde und – weil es ja nicht meine direkte Familie ist – ich vielleicht nichts dazu sagen würde. Tatsächlich haben mich meine Erwartungen in dieser Hinsicht nicht getäuscht. Die ersten Treffen liefen genau ab, wie oben beschrieben. Allerdings war es nur ein, zwei Male so, dass ich nichts dazu gesagt habe. Ich habe für mich gelernt, es klar und deutlich zu sagen, wenn ich gerade denke, dass das Kind Ruhe braucht. Mein Mann stand da zum Glück vollkommen hinter mir.
“Tatsächlich muss ich sagen, dass es mit der Zeit immer besser wurde.”
Ich denke, viele Mamis kennen solche Situationen in Freundes- oder Familienkreisen. Doch ich hoffe, auch ihr findet einen Weg damit umzugehen. Tatsächlich muss ich sagen, dass es mit der Zeit immer besser wurde. Je älter unsere kleine Maus geworden ist, umso mehr hatte ich das Gefühl, dass sie das auch aushalten kann. Ihre Tante – die Schwester meines Mannes – mag sie sogar sehr gerne. Sie war bis vor kurzem schwanger und hat eine unglaubliche Ruhe ausgestrahlt, die selbst bei mir ankam. Die kleine Maus ist immer sehr gerne bei ihr auf dem Arm und ich konnte sie auch schon als Babysitter einspannen, als ich einen Friseurtermin hatte.
“Manchmal komme ich mir vor wie ein Kontrollfreak, aber es geht ja um das Wohlergehen meines Kindes, oder?”
Das Baby jemandem anzuvertrauen ist kein leichter Schritt. Man kennt sein Kind nach einigen Monaten auswendig. Man weiß genau, wann es was braucht. Man hat seine Vorstellungen davon, wie die Bedürfnisse dieses kleinen Wesens befriedigt werden können und sollen. Einer Person, der ich mein Kind anvertraue, vertraue ich. Ich vertraue darauf, dass sie mein Kind so behandelt, wie ich es tun würde – natürlich nicht 1 zu 1, aber nach meinen Prinzipien. Manchmal komme ich mir vor wie ein Kontrollfreak, aber es geht ja um das Wohlergehen meines Kindes, oder?
Um ein Beispiel zu nennen: Die älteren Herrschaften der Gesellschaft sagen ja nur allzu gern: „Verwöhn’ das Kind nicht so, du kannst es auch mal etwas schreien lassen, es muss doch Lunge kriegen!“ So ist auch die Oma meines Mannes eingestellt. Ich möchte mein Kind aber nicht schreien lassen. So ein kleines Baby hat keine andere Möglichkeit sich zu äußern als zu weinen. Das heißt für mich, wenn das Baby weint, braucht es irgendetwas und sei es nur Nähe. Und das gebe ich meinem Kind. Zu jeder Zeit, vollkommen ohne die allgemein bekannte Sorge es „zu verwöhnen“. Wenn ich also jemandem mein Kind anvertraue, möchte ich, dass dieser jemand auf die Bedürfnisse meines Babys eingeht und es nicht einfach weinen lässt. Diese Basis konnte ich also mit der Tante aufbauen, sodass ich ihr die kleine Maus für ein paar Stündchen anvertrauen konnte.
“Ansonsten ist es mit der ‘Schwieger-Familie’ ja häufig ein bisschen schwieriger, als mit der Eigenen.”
Ansonsten ist es mit der „Schwieger-Familie“ ja häufig ein bisschen schwieriger, als mit der Eigenen. Ich glaube bei mir persönlich liegt das daran, dass ich meiner Mutter z.B. einfach alles ganz direkt sage, wie unser Baby was braucht und wie sie es bitte auch versuchen soll zu machen, ohne dass ich das Gefühl habe, sie hält mich für verrückt oder denkt, ich würde ihr nicht zutrauen ein Kind zu versorgen. Schließlich hat sie ja auch zwei Kinder großgezogen.
Bei der Schwiegermama ist diese Barriere halt irgendwie da, ohne dass ich generell Probleme mit ihr habe. Wir kommen gut miteinander klar. Heute freue ich mich, dass die Beziehung zu ihr und der Kleinen immer besser wird. Je größer sie wird, desto besser kann sie auf meine Tochter eingehen. Ich habe mir fest vorgenommen, sie bald auch als Babysitter einzuspannen. Ich fühle mich immer wohler mit dem Gedanken.
“Ich habe mich unglaublich übermannt gefühlt. Ich selbst hatte noch kaum etwas gekauft. Hatte noch gar nicht den Drang dazu. Ich war vollkommen überfordert und habe mich schon gar nicht mehr gefreut, wenn sie wieder mit neuen Sachen ankam.”
Aber kommen wir nun zum Retter in der Not. Meinen Eltern! Wer hätte das gedacht? Ich nicht! In der Schwangerschaft habe ich dem auch mit großer Sorge entgegengeblickt. Unsere kleine Maus ist das erste Enkelkind und meine Großeltern – die Eltern meiner Mutter – sind in der Zeit der Schwangerschaft beide ernsthaft erkrankt und gestorben. Dies hatte zur Folge, dass meine Mama in einen kleinen Wahn geraten ist. Sie hat sich vollkommen in die Rolle der Oma gestürzt. Sie hat wie wild Anziehsachen für die Kleine gekauft, hatte einen eigenen Kinderwagen und hat ein Kinderbett gekauft für uns. Ständig kam sie mit neuen Sachen an. Das ganze schon ab der 20. Schwangerschaftswoche. Ich habe mich unglaublich übermannt gefühlt. Ich selbst hatte noch kaum etwas gekauft. Hatte noch gar nicht den Drang dazu. Ich war vollkommen überfordert und habe mich schon gar nicht mehr gefreut, wenn sie wieder mit neuen Sachen ankam. Das klingt undankbar, aber ich hatte das Gefühl erdrückt zu werden.
Irgendwann kam der Punkt, da musste ich das Thema ansprechen. Es war mir so unglaublich unangenehm. Keinesfalls wollte ich sie vor den Kopf stoßen. Ich war froh, dass sie so enthusiastisch war. Und ich konnte nachvollziehen, dass sie sich vom Tod ihrer Eltern ablenken wollte. Aber das war mir alles zu viel. Zum Glück verlief das Gespräch super. Kurz zuvor hatte sie mit meinem Papa das Gespräch, dass sie das Gefühl hatte, sie würde Mutter werden und nicht ich. So war der Shopping-Wahn gestoppt.
“Ihr könnt euch jedoch vorstellen, dass ich Angst davor hatte, sie würde mich belagern, sobald die Kleine da ist und sie total vereinnahmen.”
Ihr könnt euch jedoch vorstellen, dass ich Angst davor hatte, sie würde mich belagern, sobald die Kleine da ist und sie total vereinnahmen. Ich habe ihr sehr deutlich gesagt, dass ich nach der Geburt erstmal Ruhe möchte und nur Besuch, wenn wir uns danach fühlen. Aus heutiger Sicht war das vielleicht etwas übertrieben. Meine Eltern nehmen gut Rücksicht, aber ich habe mich einfach bedrängt gefühlt – als hätte ich die Kontrolle über alles was mit dem Baby zu tun hat verloren.
“Jeden Mittwoch treffen mein Mann und ich uns abends mit Freunden und meine Eltern passen auf das Baby auf, während sie meist in ihrem Bettchen schläft.”
Nachdem die kleine Maus nun schon 7 Monate auf der Welt ist, kann ich jedoch nur sagen, dass meine Eltern die beste Unterstützung sind, die ich mir wünschen kann. Nach der Geburt haben sie uns mit Essen versorgt – die Familie meines Mannes auch – das war eine rießen Hilfe im Wochenbett. Meine Mama hat mich im Haushalt super unterstützt und tut dies auch heute noch. Einmal in der Woche kommt sie zu Besuch und spielt mit der kleinen Maus oder geht mit ihr spazieren, damit ich den Haushalt machen kann. Wir gehen gemeinsam einkaufen, sie hilft mir beim ein- und ausräumen. Jeden Mittwoch treffen mein Mann und ich uns abends mit Freunden und meine Eltern passen auf das Baby auf, während sie meist in ihrem Bettchen schläft.
Als mein Mann Urlaub hatte, durften wir uns ein paar Stunden für uns gönnen, in denen wir Essen waren, Freizeit und Zweisamkeit genießen konnten. Wenn ich Termine habe, kann ich sie jederzeit bei meinen Eltern vorbeibringen. Und neuerdings haben wir den Freitag als „Me-time“ eingebaut. Ich habe nun jeden Freitag 4-5 Stunden Zeit für mich, die ich frei gestalten kann OHNE dafür einer anderen Verpflichtung nachzugehen. Das tut unglaublich gut.
“Durch sie erlangte ich ein Stück Freiheit zurück. Stück für Stück ein wenig mehr. Wir haben nach und nach die Betreuungszeit aufgebaut.”
Meine Eltern machen das so hervorragend. Sie hören zu und beobachten wie wir mit der kleinen Maus umgehen und kümmern sich hervorragend um sie. Sie sind einfach wunderbare Großeltern und es tut so gut, sie zu haben. Durch sie erlangte ich ein Stück Freiheit zurück. Stück für Stück ein wenig mehr. Wir haben nach und nach die Betreuungszeit aufgebaut. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie machen sollte! Mir tut es so gut, Zeit mit meinem Partner, meinen Freunden und mit mir allein zu verbringen. Das stärkt mich für die Zeit mit Baby und ich kann wieder vollkommen für sie da sein.
“Hier haben wir uns gegenseitig angeboten für die Andere da zu sein. Wer keine Familie in der Nähe hat, sollte auf Freunde zurückgreifen können.”
Ich finde es interessant zu sehen, wie das bei anderen Paaren und ihren Familien läuft. Eine Freundin aus dem genannten Babykurs kommt nicht aus unserer Stadt. Sie ist hergezogen und ihre Familie wohnt weiter weg. Ihre Mutter schafft es mit Mühe und Not einmal die Woche vorbeizukommen. Wenn sie krank ist oder die Tochter krank ist, kommt sie schnell an ihre Grenzen. Hier haben wir uns gegenseitig angeboten für die Andere da zu sein. Wer keine Familie in der Nähe hat, sollte auf Freunde zurückgreifen können.
Ich habe auch noch eine sehr gute Freundin, der ich jederzeit mein Kind anvertrauen könnte. Ich bin diesbezüglich echt reich beschenkt und weiß das sehr zu schätzen.
Ich möchte euch allen Wünschen, dass ihr im Bereich dessen, womit ihr euch wohl fühlt, auf die Unterstützung eurer Familie und eurer Freunde zurückgreifen könnt. Habt keine Scheu davor, um Hilfe zu bitten oder Hilfe anzunehmen. Und auch, wenn es manchmal nicht nötig erscheint oder man denkt: „Naja es geht doch irgendwie auch so“, man kann sich das Leben mit Unterstützung doch um einiges leichter und angenehmer machen. Wer keine Familie und Freunde in der Nähe hat, kann dennoch die Augen offen halten, denn auch durch andere (Mama-)Freundinnen kann man Unterstützung finden, wenn man möchte.
Meinerseits einen großen Dank für solch tolle Großeltern, Verwandte und auch Freunde – ich fühle mich unglaublich gesegnet mit euch!
Fotocredits: Marina Abrosimova on Unsplash
Über Michelle:
Michelle ist 31 Jahre jung und kommt aus Dorsten. Sie arbeitet als Grundschullehrerin. Gerade ist sie in Elternzeit und kümmert sich um ihre 8 Monate alte Tochter.