Von Gastautorin Sonja Hoffmann
Während im April 2020 das große C überall die ersten Sprossen verteilte, meldete ich mich bei einem Onlinekurs für achtsames Selbstmitgefühl (Mindful Self-Compassion, MSC) an. Nach einer Scheidung leckte ich meine daraus entstandenen Wunden. Ich lebte mit tagtäglichen Grollattacken gegenüber meinem Expartner und seiner neuen Frau, die bereits ihr zweites Kind erwarteten, während es bei mir mit dem Kinderwunsch nur schleppend voran ging. Zum Glück bin ich ein sehr reflektierter Mensch und wusste, dass ich irgendetwas unternehmen muss, um meinen dramatischen Gefühlscocktail in mir zu bändigen. Ich habe herausgefunden, dass das vollständige Annehmen aller Gefühlsexplosionen mich zurück zu mir bringt: In diesem Kurs lernte ich die vollständige Akzeptanz meines Selbst.
Liebende Güte (Metta) und Mitgefühl (Karuna) entstammen aus dem Buddhismus und sind Qualitäten unseres Herzens. Diese vier Herzensqualitäten (Pali: brahma-vihara-bhavana) bestehen unter anderem noch aus Mitfreude (Mudita) und Gleichmut (Upekkha). Die Praxis des achtsamen Selbstmitgefühls beschäftigt sich hauptsächlich mit der Ressource des (Selbst-)Mitgefühls sowie der liebenden Güte, daher gehe ich speziell auf diese beiden Qualitäten ein und versuche diese in Bezug zu meiner Geschichte zu setzen.
Liebende Güte (Metta) ist:
• Bedingungslose Liebe, wie eine Mutter sie ihrem Kind schenkt
• Der Wunsch, dass wir alle glücklich sind
• Nicht besitzergreifend
• Wenn wir etwas Gutes in anderen Menschen sehen
• Die freundliche, warme Präsenz unseres Herzens
• Wenn wir uns selbst freundlich begegnen und wir dann auch anderen freundlich begegnen können
• Freundlichkeit zu uns selbst
Ich habe mich damals besonders für das Thema der bedingungslosen Liebe interessiert. Mir war „bedingungslose Liebe“ noch nie wirklich ein Begriff. Daher reflektierte ich darüber und vergaß so die dunkelgraue Wolke des Grolls, die über mir schwebte.
Eines Tages entdeckte ich ein kleines Büchlein über Selbstmitgefühl im Buchhandel. Dieses Büchlein veränderte alles für mich und ich begann mich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Ich dachte immer, Selbstmitgefühl wäre so etwas wie Selbstliebe. Letzteres kann allerdings auch eine Pseudo-Selbstliebe sein, wenn wir uns über andere stellen und wir uns nur um uns selbst kreisen. Außerdem war ich überzeugt, dass, wenn es mir schlecht geht, mich nur mein Partner trösten kann. Unbewusst machte ich mich von ihm abhängig, da ich von ihm erwartete, dass er meine Wunden heilt. Seitdem ich Übungen aus dem achtsamen Selbstmitgefühlstraining kenne, weiß ich, wie ich mich selbst trösten und in den Arm nehmen kann. Dies mag am Anfang komisch klingen, die Wirkung der Übung entfaltet sich jedoch schnell, nachdem ich diese angewendet habe.
Eine Übung aus dem Selbstmitgefühl ist zum Beispiel die Selbstmitgefühlspause. Wir legen eine Hand auf unseren Herzbereich oder eine andere Stelle und vergegenwärtigen uns, dass wir momentan eine leidvolle Situation empfinden. Dies ist Achtsamkeit und wir erkennen dieses Leid an. Durch die Hand auf unserem Herzen nutzen wir das Kernelement der Selbstfreundlichkeit und schenken uns durch die Berührung Trost. In der Selbstmitgefühlspraxis nutzen wir außerdem das Kernelement des gemeinsamen Menschseins. In der Meditation machen wir uns bewusst, dass andere Menschen ähnliche Situationen erleben und wir nicht allein sind. Ein weiterer Teil der Meditation ist ein Satz der liebevollen Güte, den wir uns schenken. Zum Beispiel: „Möge ich mir die Liebe geben, die ich mir gerade wünsche.“ Zum Abschluss der Meditation stellen wir uns vor, welchen Rat wir einer Person geben würden, die gerade eine ähnliche Situation erlebt. Letztendlich geht es darum, uns selbst Mitgefühl zu schenken, da wir zum Schluss genau diese Worte, die wir an einen Freund oder an eine Freundin richten würden, uns selbst liebevoll ins Ohr flüstern.
Mitgefühl (Karuna) ist:
• Den Wunsch zu haben, einer Person zu helfen, die leidet
• Dies kommt vom Wunsch, dass andere Menschen glücklich sind
• Daher: Wenn Liebe auf Leid trifft, ist es Mitgefühl
• Bewusstsein über das Leid im Leben zu haben, da Leiden dazu gehört
• Wir können uns auch selbst trösten, wenn wir leiden, dann ist es Selbstmitgefühl
• Wenn wir Wärme und Zuversicht verschenken
Durch Mitgefühl stärken wir unser Fürsorgesystem, stärken unser Grundvertrauen und verlieren uns beispielsweise nicht in obsessiven Grübelschleifen über Vergangenes oder Zukünftiges.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass sich achtsames Selbstmitgefühl lohnt! Insgesamt fühle ich mich weniger gestresst, komme besser mit meinen Emotionen klar und fühle mich selbstsicherer. Das Training ist vergleichbar mit einem Resilienztraining, du kommst gestärkt aus dem Training heraus. Für mich war der Onlinekurs im April 2020 eine Investition für meine Zukunft. Und dies sage ich, ohne Werbung für den Kurs machen zu wollen. Ich bin überzeugt von der Praxis des achtsamen Selbstmitgefühls. So überzeugt, dass ich im letzten Herbst 2021 eine Ausbildung in Mindful Self-Compassion (MSC) gemacht habe.
Zum Thema Kinderwunsch und achtsames Selbstmitgefühl habe ich ganz aktuell einen Podcast herausgebracht. Dieser nennt sich: Den Kinderwunsch umarmen. Mit Achtsamkeit und Selbstmitgefühl.
Über Sonja
Sonja, 32, wohnt im schönen Rheinland und ist mit ihrem ersten Kind schwanger. Sie hat sich im September 2021 als Virtuelle Assistentin selbstständig gemacht. In Sonja schlummert eine aufgeweckte Scanner-Persönlichkeit. Darum probiert sie sich beruflich nebenbei als Yogalehrerin und als Kursleiterin für achtsames Selbstmitgefühl (MSC) aus. Bei isa. who else schreibt sie für die Rubrik Gastartikel.
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Photocredits: Taisiia Stupak on Unsplash